Von blühenden Panzern und sprechenden Bildern
Was Bilder erzählen, denen der Mund verboten wurde
Nils Olger
(In: MALMOE #71, Juni 2015)
Ein Gartenspaziergang im Heeeresgeschichtlichen Museum führt auf die Straße nach Russland und stellt Fragen zum Umgang mit historischem Bildmaterial. Ein Versuch, hinter die Bilder zu schauen und in ihnen zu lesen.
Eine Ankündigung im Internet hat mich neugierig gemacht. Was wächst wohl in einem Panzergarten?
Meine Neugier führt mich in das Heeresgeschichtliche Museum (HGM) im Arsenal unweit des Wiener Hauptbahnhofs. Dort finde ich die ernüchternde Antwort in Gestalt ausgemusterter Panzer des Bundesheeres sowie russischer und US-amerikanischer Modelle. Das einzige, was hier bluüht ist der Rost. Die Gelegenheit zu einem Rundgang nutzend finde ich mich in Saal VII ‚Republik und Diktatur’ dem zeitgeschichtlichen Teil der Dauerausstellung wieder. Hier bietet sich gleich mehrfach Anlass zu einer Auseinandersetzung mit den Auswüchsen österreichischer Museumskultur. Nicht nur die Ansammlung möglichst vieler Objekte auf engem Raum in hohen Glasvitrinen ist erdrückend, auch die hier bemühte Nationalgeschichtsschreibung, die sich wenig um historische Ausgewogenheit schert und Opfer der NS-Diktatur, – wenn überhaupt – nur am Rande (oder am Vitrinenboden unterhalb der SS-Uniformen) vorkommen lässt.
Wehrmachts-Collagen
Zwei Exponate der Ausstellung stechen jedoch besonders hervor. Vor allem, weil sie den Eindruck erwecken, als unverfängliches Dekorelement eher unbeteiligt die Wand zu zieren.
Ein A0-Poster mit Reproduktionen von acht Schwarzweißfotografien zum Teil überlappend montiert, beschnitten, in unterschiedlichen Formaten und schräg übertitelt mit „Die Straße“, daneben ein weiteres mit acht Farb-Fotografien im Querformat und dem Titel „Stalingrad“. In beiden Fällen sucht man weitere Beschreibungen vergeblich. Darüber, wie diese Collagen den Weg ins Museum gefunden haben, lässt sich zunächst nur spekulieren. Das HGM untersteht dem Bundesministerium für Landesverteidigung und Sport. Die Fotos mögen aus dem Umfeld des Bundesheeres stammen, einem Archiv entnommen oder auch von einer Privatperson übergeben worden sein. Eine diesbezügliche Anfrage an das HGM wurde bis dato nicht beantwortet. Erstaunlich ist, wie selbst in einem Geschichtsmuseum kaum Wert darauf gelegt wird, Fotos als geschichtliche Quellen zu behandeln. Vielmehr wird plakativ ein Topos aufgerufen, ein sprachlicher Code benutzt, der eine bestimmte Sichtweise auf den Kontext voraussetzt. Jene, die es angeht, werden schon wissen, was gemeint ist.
Besucherinnen bleiben ratlos zurück. Straße? Stalingrad?
Dem Straßenverlauf folgen
Die Collage „Die Straße“ zeigt zunächst ein Bild zweier leichter Infanterie-Geschütze neben einem Haufen Gewehre vor einer Baumgruppe. Es könnte sich um erbeutete Waffen handeln. Dafür spricht der sorglose Umgang mit den Waffen. Das zweite Bild zeigt an der Uniform erkennbare Wehrmachts-Soldaten unterhalb des Fotografen im Schützengraben stehend. Einer hält ein Fernglas in der Hand, dahinter Kanister und aufgestützte Maschinengewehre. Die Mimik wirkt ernst und angespannt. Das dritte Bild enthält schon etwas mehr Information. Es zeigt an einen Pfosten genagelte Schilder mit den Aufschriften „Gornostaipol“, „Dnjepr-Übergang“, „Nschb. Stab ‚Dnjepr’ Umschlagstelle“, „Feldgendarmerie“ sowie „Zur Einheit Spielberger(?)“, dahinter ein strohgedecktes Haus. Ein erster Ansatzpunkt, geographisches und militärisches Wissen vorausgesetzt. Auf dem vierten Bild ist ein Befestigungswall mit Stacheldraht, das fünfte zeigt Soldaten der Infanterie im Marsch durch Gebüsch, Bild sechs – das größte der Serie – zeigt eine Aufsicht auf weite, kahle Landschaft, ein Motorrad im Gegenlicht, das auf die Kamera zufährt und vier Pferdekarren mit Personen (Soldaten?) im Hintergrund. Das vorletzte Bild zeigt zahlreiche eng an eng liegenden Fässer und Tankwaggons mit geöffneter Klappe sowie Wehrmachtssoldaten, vermutlich beim Befüllen derselben. Die Serie endet mit einem Foto dreier an eine Hauswand gekrümmt schlafender (toter?) Soldaten.
Was hat das
alles mit dem Titel zu tun? Erbeutete Waffen und ein Schützengraben – letzteres
ein häufiges Sujet des Ersten Weltkriegs, der in erster Linie Stellungskrieg
war. Beides wäre nicht meine erste Assoziation zum Titel „Die Straße“. Die
Wegweiser helfen vielleicht weiter, aber verweisen sie nicht auch eher auf
einen Ort, eine Gegend als eine Wegstrecke? Marschierende Soldaten in Augenhöhe
aufgenommen. Ihr Weg vom linken zum rechten Bildrand, die Haltung erschöpft,
die schweren Füße in hohem Gras – eine „Straße“ ist hier nicht zu finden. Dann
ein Befestigungswall, der endlos in den Horizont verläuft – Bildinhalt und
Inszenierung als Sinnbild des Stillstands; Hier kommt niemand durch! Die
Schlafenden des letzten Bildes werden auch so schnell keinen Fuß vor den
anderen auf die Straße setzen. Genau genommen zeigt keines der Bilder
tatsächlich eine Straße. Die großflächigste Abbildung zeigt indes eine
Staubpiste im Gegenlicht, der Weg der Fahrzeuge schlängelt sich aus dem
Bildhintergrund in Richtung der Kamera. Ist das unsere „Straße“? Sie führt
zentral in die Bildmitte, in ihrem Fokus steht der Fotograf des Bildes. Das
Bild weist über seinen Inhalt hinaus auf die Figur des Fotografen. Der Fotograf
ist das Ziel. Das Bild selbst erzählt offensichtlich mehr, als den Ausstellungsmacher_innen
lieb scheint. Diese lassen uns an ihrem Wissen über den Fotografen nicht
teilhaben, der oder die Fotografen werden nicht
genannt. Ist es Nicht-Wissen, Ignoranz oder eine bewusste Auslassung? Es bleibt
den Besucherinnen überlassen anhand
der enthaltenen Bildinformation Rückschlüsse auf die Fotografen zu ziehen. Das
wird dadurch erschwert, dass die Fotos bearbeitet – beschnitten, einander
verdeckend collagiert, in mäßiger Qualität reproduziert – wurden. Eine wichtige
Feststellung ergibt sich jedoch schon bei oberflächlicher Betrachtung. Die
Fotografien sind in allen Fällen aus einer beobachtenden Position aufgenommen
worden. Der Fotograf war nicht in die Aktivität der Truppe eingebunden, somit
entweder als Soldat mit besonderen Rechten zum Fotografieren ausgestattet oder
„Bildberichter“, wie die Fotografen der Propagandakompanien (PK) in ihrer
ideologischen Übersetzung genannt wurden. Für letztere Auslegung sprechen auch
verwendete Stilmittel wie Perspektive, Lichtsetzung und Ästhetik. PK-Fotografen
hatten zum Teil eine Vorbildung als professionelle Fotografen und wurden für
ihren Einsatz ausgebildet, waren also in der Technik geschult. Damit
unterschieden sie sich von „Knipsern“, jenen Amateur-Fotografen, die es nicht
zuletzt aufgrund der leichten Verfügbarkeit der damals verbreiteten Leicas und
im Interesse des Propagandaministeriums und der Fotoindustrie auch in der
Wehrmacht zuhauf gab. PK-Fotografen waren dem Oberkommando der Wehrmacht
militärisch unterstellt, folgten aber als Fotografen den Weisungen des Propagandaministeriums.
Dieser Auftrag spiegelt sich in den Fotografien wieder. Die Deutsche Wehrmacht
sollte in allen Fotografien, die nach der Zensur ihren Weg in Zeitschriften und
Zeitungen fanden, in ihrer vermeintlichen Pracht dargestellt werden. Stärke,
Schnelligkeit und Entschlossenheit, Kameradschaft und Heldentum, Ausdauer und
Sieg sollten in der Wahrnehmung der Wehrmacht ineinanderfließen und auch an der
‚Heimatfront’ den Durchhaltewillen und Kampfgeist der ‚Volksgemeinschaft’
stärken.
Sprachen lernen
Genau hier liegt die Problematik. Wir wissen nichts über die Fotografien, außer, was der Titel vorgibt und sie selbst preisgeben. Wir betrachten die Fotos und erkennen, im schlimmsten Fall, sagen wir, von den Strapazen erschöpfte Soldaten, die friedlich an einer Mauer dösen. . Und an einer „Straße“ ist doch wirklich nichts zu Verwerfliches, oder? Und doch bleibt dieses Gefühl, dass wir auf recht unbeholfene Weise einer Erzählung folgen sollen, die nicht stimmig ist. In der modernen Aufmachung digitaler Medien und mit Hugo Portisch und Guido Knopp an Einiges gewöhnt, könnte der dekontextualisierte Bildgebrauch schnell übersehen werden. In diesem Fall macht die plumpe Umsetzung jedoch unbeabsichtigt auf sich aufmerksam, macht stutzig und argwöhnisch und verleiht dem Poster in Zusammenhang mit dem kompletten Verzicht auf zusätzliche Information gar etwas Anrüchiges. Gefühlvolles Erleben anstelle von kritischem Urteilen – eine Erziehung zum Wegsehen? Aber halt! Das ist womöglich der Charakter der Authentizität! Hier spricht womöglich einer, der selbst dabei war, der es selbst gesehen hat! Sicher, die wenigen foto-inhärenten Verweise auf den Entstehungsort, lassen die 44. Infanterie-Division, die kurz nach dem ‚Anschluss’ aus Divisionen des Bundesheeres aufgestellt wurde, im Ostfeldzug zum Einsatz kam, den Fluss Dnjepr in der Ukraine überquerte und in der Kesselschlacht um Kiew kämpfte als möglichen Akteur vor der Kamera vermuten. Und das Verteidigungsministerium als Hausherrin des HGM lässt Veteranen des Bundesheeres als Verursacher der Collagen in Betracht ziehen.
Alles authentisch, so war es.
Doch der Blick durch die Kamera und zurück auf den Fotografen spricht eine andere Sprache. Er vermittelt die Ideologie des nationalsozialistischen Terror-Regimes, dessen Auswirkungen immer noch zu spüren sind. Die Fotografien sind Propaganda in der Verherrlichung der Taten jener, die für den Sieg dieses Regimes gekämpft haben und damit gegen Werte der heutigen Republik Österreich, die das Museum, aber auch das Bundesheer finanziert. Hier sind die Bilder immer noch Waffe. Aber selbst, wenn die Republik Österreich nicht als Bezugspunkt herhalten soll, und der ideologische Vorsatz der Zurschaustellung der Foto-Collagen nicht als gesichert gesehen werden kann, in meiner Vorstellung eines (militär-)historischen Museums in einer Stadt, die selbst Teil des Deutschen Reichs war, ist eine unkommentierte, unkritische, verherrlichende Darstellung von NS-Kriegstaten fehl am Platz.
Vielleicht gehe ich nächstes Mal doch lieber in den Schweizer Garten.
Literatur
Bernd Boll: Die Propagandakompanien der Wehrmacht 1938-1945. In: Christian Stadelmann, Regina Wonisch (Hg.), Brutale Neugier. Walter Henisch. Kriegsfotograf und Bildreporter, Wien 2004.
Eric Borchert: Entscheidende Stunden. Mit der Kamera am Feind, Berlin 1941.
Klaus Hesse: PK-Fotografien im NS-Vernichtungskrieg. Eine Bildreportage Artur Grimms aus dem besetzten Warschau 1939, in: Rainer Rother, Judith Prokasky (Hg.): Die Kamera als Waffe. Propagandabilder des Zweiten Weltkrieges, edition text+kritik, München 2010, S. 137–149.
Kathrin Hoffmann-Curtius: Trophäen und Amulette. Die Fotografien von Wehrmachts- und SS-Verbrechen in den Brieftaschen der Soldaten, in: Fotogeschichte, 20. Jg., Heft 78, 2000, S. 63-76.
Anton Holzer: Mit der Kamera am Feind. Deutsche Kriegsfotografen im Zweiten Weltkrieg, in: Hans-Michael Koetzle (Hg.): Augen auf! 100 Jahre Leica, Heidelberg 2014., 144–158.
Ahlrich Meyer (Hg.), Der Blick des Besatzers. Propagandaphotographie der Wehrmacht aus Marseille 1942 – 1944, Bremen 1999.
Gerhard Paul: Bilder des Krieges, Krieg der Bilder. Die Visualisierung des modernen Krieges, Paderborn 2008, S. 225–235 u. 268–284.
Daniel Uziel: Propaganda, Kriegsberichterstattung und die Wehrmacht. Stellenwert und Funktion der Propagandatruppen im NS-Staat. In: Rainer Rother, Judith Prokasky (Hg.): Die Kamera als Waffe. Propagandabilder des Zweiten Weltkrieges, edition text+kritik, München 2010, S. 13–36.
Ders.: The Propaganda Warriors. The Wehrmacht and the Consolidation of the German Home Front, Oxford, Wien u. a. 2008.